Marie Stritt

Mitbegründerin der deutschen Frauenrechtsbewegung

Marie Stritt

Marie Stritt wurde am 18. Februar 1855 in Schäßburg geboren. Sie ist ein aufgewecktes Mädchen, bereits in jungen Jahren durchaus kritisch ihrer Umgebung gegenüber. Sicher hing dies auch mit dem Engagement ihrer Mutter Therese Bacon für die Rechte von Frauen und Mädchen zusammen. Kernforderung der Frauenbewegung war, Mädchen und Frauen eine Bildung zu ermöglichen, die denen der Männer gleichwertig war.

Leider sind Marie Stritts Lebenserinnerungen an Kindheit und Jugend unvollendet geblieben. Stilistisch und in Bezug auf Schäßburg ähneln sie jenen ihrer Großnichte Elisabeth, die 60 Jahre später entstanden. An die Reaktion ihrer Eltern auf einen durchaus ungewöhnlichen Schritt der 14-jährigen Tochter erinnert sich Marie: „Ich weiß nicht, was meine Eltern bewog, mich schon mit 14 Jahren in den Unterricht (zur Vorbereitung der Konfirmation, die für Mädchen der ‚besseren Stände‘ in der Regel um das 16./17. Lebensjahr erfolgte) zu schicken, jedenfalls war aber auch das für meine zweifelnde Kinderseele schon zu spät; denn diese lehnte sich gegen die christlichen Dogmen, an die sie glauben und zu denen sie sich ausdrücklich bekennen sollte, ganz entschieden auf. Das Apostolikum hat mir die Religion, die einem vernünftigen Menschen solchen Unsinn zumuten konnte, gründlich verleidet und mich zu einer energischen passiven Resistenz herausgefordert, die darin bestand, dass ich im zweiten Jahr dem Unterricht fernblieb und erklärte, mich nicht konfirmieren zu lassen. Es war für die geistige Einstellung meiner Eltern sehr bezeichnend, dass sie weder durch Zwang noch durch Zureden auf mich einzuwirken suchten, ja, dass sie nicht einmal nach dem Grunde meiner Weigerung fragten. Mein Vater äußerte sich mir gegenüber überhaupt nicht zu der Angelegenheit, ich hatte ihn aber damals schon im Verdacht, dass ihm dieser Entschluss seiner rebellischen Tochter innerlich eine Mordsfreude bereitete.“

Marie Stritt (5. v. l.) als Schauspielstudentin

Marie Stritt auf der Theaterbühne

Die Familie legte ihr auch keine Steine in den Weg, als sich Marie Bacon für den Schauspielerberuf entschied und als Neunzehnjährige zum Studium nach Wien ging. „Es war eine ziemlich bunte Gesellschaft, die sich da in der ersten deutschen Schauspielschule zusammengefunden hatte und in der nächsten Zeit noch durch zahlreiche Nachzügler vergrößert wurde – ebenso verschieden nach Nationalität und Herkunft, wie nach Bildungsgrad und Kinderstube. Das größte Kontingent stellte naturgemäß Wien, doch hatten wir auch mehrere Reichsdeutsche (als „Reichsdeutsche“ wurden in Siebenbürgen alle Deutschen bezeichnet, die im Deutschen Reich lebten – d. A.) unter uns und ansehnliche Gruppen aus Ungarn und Böhmen. Das weibliche Geschlecht überwog weitaus, unverhältnismäßig stark war, besonders für meine damaligen Begriffe, das jüdische Element vertreten.“

Marie lernte bei einem Engagement am Karlsruher Theater den Schauspieler und späteren Heldentenor Albert Stritt kennen und heiratete ihn 1879. Albert Stritt gehörte zu den berühmtesten Künstlern seiner Zeit. So wurde er 1858 an die New Yorker Metropolitan Opera verpflichtet, wo er in der US-amerikanischen Erstaufführung von Richard Wagners „Meistersingern“ den „Stolzing“ verkörperte. Die wichtigsten Wagner-Partien seines Faches hat er mit großem Erfolg an verschiedenen Opernhäusern gesungen – „Tristan“, „Lohengrin“, „Tannhäuser“, „Siegfried“ und „Rienzi“. Auch in den Bühnenwerken anderer Komponisten vollbrachte er hervorragende Leistungen und wurde an verschiedene Hochschulen, beispielsweise das Konservatorium in Wien, als Gesangsprofessor verpflichtet.

In der Interpreten-Galerie der Wagner-Gedenkstätte in Graupa bei Pirna (Sachsen) ist sein Abbild bis heute zu finden.

Wie kompliziert das Leben mit einer solchen Künstlerpersönlichkeit für die Ehefrau und die beiden Kinder Friederike Stritt, geboren 1880 und Walter Stritt, geboren 1882, gewesen ist, mag sich jeder ausmalen.

Von der Theaterbühne auf die Bühne der Frauenbewegung

Marie wurde jedenfalls erst nach dem Ende ihrer Bühnenkarriere 1898 eine der führenden Persönlichkeiten in der deutschen und österreichischen Frauenbewegung. Neben dem Einfluss ihrer Mutter Therese Bacon war sicher auch die Situation in ihrer Heimat ein Grund, sich in diese Aufgabe mit einem nahezu übermenschlichen Arbeitspensum zuzuwenden. Sie kämpfte unermüdlich für die Verbesserung der Lebenschancen von Mädchen und Frauen durch Bildung und das Frauenwahlrecht.

Sie war berühmt für ihre mitreißende Redegabe. Dabei kamen ihr sicher die Ausbildung und das Wirken als Schauspielerin zugute – der Sinn für den Aufbau einer Rede und deren dramatische Zuspitzung. Auch hatte sie dank der Schauspielschule in Wien den siebenbürgisch-sächsischen Anklang ihrer Sprache nach eigenem Zeugnis abgelegt. Leider sind keine Tondokumente, wohl aber zwischen 1891 und 1928 entstandene 134 (!) Beiträge in Zeitschriften und Büchern überliefert.

Marie Stritt starb am 16. September 1928 im Alter von 73 Jahren in Dresden, wohin sie mit ihrem Mann Albert und den beiden Kindern gezogen war.

Würdigung von Marie Stritt

Else Ulich-Beil hielt auf dem Tolkewitzer Friedhof Dresden die Gedenkrede. Ihre Worte des Abschiednehmens waren sehr persönlicher Natur und zeichneten ein differenziertes Bild des Charakters der Verstorbenen. So sprach sie von Marie Stritts „ausdauernder Energie, die sich zu leidenschaftlicher Härte steigern konnte, wenn es galt, als wesentlich erkannte Ziele auf dem unmittelbaren Wege zu erreichen. Abweichungen waren ihr verhasst und Kompromisse schloss sie nicht gern. (…) Für sie war das Ungewohnte nie das Unstatthafte. Gewiss, sie war oft Träger eines scharfen und klaren Radikalismus, der ihr manche sachliche Gegnerschaft eingetragen hat, aber sie konnte und durfte radikal sein, weil der menschliche Zauber ihres Wesens und die selten versagende Anmut ihrer äußeren Form immer wieder Brücken schlug. Ihr leidenschaftliches Temperament konnte sie gewaltig fortreißen und etwas Hartes, ja beinahe Dämonisches in ihr frei machen. Aber doch wurde von diesem Temperament ihr Charakter, der in sich adelig war, nicht berührt.“

Else Ulich-Beil, die selbst gerade von einer Propagandareise für die deutsche Frauenbewegung aus Siebenbürgen zurückgekommen war, hob in ihrem Nachruf auch die enge Verbundenheit Marie Stritts mit ihrer Heimat hervor. Sie habe über 50 Jahre, nachdem sie Schäßburg verlassen hatte, noch immer „mit einer unendlichen Liebe an ihrer engeren Heimat gehangen“.

Die deutsche und die internationale Frauenbewegung gedachten ihrer programmatischen Führerin Marie Stritt in einer großen Trauerfeier am 28. Oktober 1928 in Dresden. Sie fand in der „düster ausgeschlagenen“ Aula der Kreuzschule statt und wurde ausgerichtet von denjenigen Frauenverbänden, in denen Marie Stritt herausragend gewirkt hatte: dem Bund Deutscher Frauenvereine, dem Weltbund für Frauenstimmrecht und staatsbürgerliche Frauenarbeit/International Alliance of Women, dem Allgemeinen Deutschen Frauenverein und vielen anderen.

Eine ihrer prominenten Gegenspielerinnen war Helene Lange, die in einem Nachruf in der Zeitschrift „Die Frau“ schrieb: „Sie war ein ‚politischer Mensch‘ im weitesten und im besten Sinne dieses Wortes. Klarheit und Präzision des schriftlichen und mündlichen Wortes, Verständnis für die Bedingungen politischer Wirkung, Sicherheit in der Bewahrung der Idee und dem Festhalten an der Richtung des Willens, furchtlose Kritik und ein starkes Talent für die Führung von Organisationen, die Leitung von Verhandlungen waren ihre Ausrüstung für diese Wirkung. Das Beste und höchste, was einem Menschen gesagt werden kann, ist, dass seine formende Hand in der Gestaltung seines Wirkungsfeldes der geschichtlichen Rückschau unauslöschlich erkennbar bleibt. Es sind nicht viele Frauen, die in diesem höchsten Sinne Führerinnen waren. Marie Stritt gehörte zu ihnen.“

Im Dresdener Stadtteil Striesen erinnert heute die Marie-Stritt-Straße an das Wirken der großen Frauenrechtlerin aus Siebenbürgen. Eine Tafel mit ihrem Bildnis erklärt die Bedeutung der Namensgeberin für die deutsche und internationale Frauenbewegung.

Auf ihren Wunsch hin wurde die Urne der Verstorbenen nach Schäßburg überführt und dort ein Jahr nach ihrem Tod, am 10. September 1929, im Grab der Eltern beigesetzt. Der deutsche Friedhof befindet sich bis heute neben der Bergkirche auf dem Schulberg.

© Auszug aus „Lebenshunger und Wissensdurst. Annäherung an das Leben der Schriftstellerin Elisabeth Hering“ von Ulla Schäfer, BUCHFUNK Verlag, Leipzig 2019