Ferdinand Tratner

Herkunft und Geburt

Ferdinand Tratner wird am 30. Mai 1885 in Selztal in der österreichischen Steiermark geboren. Sein damals 25-jähriger Vater Martin entstammt einer Eisenbahnerfamilie; im Trausschein der ein Jahr vor Ferdinands Geburt geschlossenen Ehe wird sein Beruf als „Kondukteur bei der k. k. Kronprinzrudolfbahn“ angegeben. Als Trauzeugen fungierten ein Zugführer und ein Maschinenheizer. Martins fünf Jahre jüngere Frau Franziska, geborene Seidl, war die Tochter eines Maurermeisters in Wörschach.

Über die Kindheit und Jugend Ferdinands ist uns nichts bekannt, doch muss früh in ihm der Wunsch gereift sein, Schauspieler zu werden und die Steiermark zu verlassen. Unklar ist, wie es ihm gelungen ist, den einfachen Verhältnissen zu entfliehen.

Unterwegs auf Wanderbühnen

Kaum 18 Jahre alt beginnt Ferdinand 1903 seine Bühnenlaufbahn in der Theaterstadt Wien. Im Neuen Theater-Almanach dieses Jahres ist er als „Ferdinand Trattner“ (mit Doppel-t) verzeichnet. Er bekommt kleinere Rollen im „Wiener Novitäten- und Operettenensemble“, das die größeren Städte der Steiermark, Kärntens und Tirols bereist.

Ausriss aus dem Neuen Theater-Almanach von 1904, in dem Ferdinand Trattner in der Spielzeit 1903/04 erstmals als Schauspieler erwähnt wird

Später legt sich Ferdinand das Pseudonym „Fredy Lepés“ zu, unter dem er über die Jahre immer wieder auftritt. Zu finden ist auch die Schreibweise „Ferdinand Trat(t)ner-Lepes“. Wie Ferdinand auf seinen Künstlernamen kam, – das Wort „Lépés“ bedeutet im Ungarischen „Schritt“; eine andere Bedeutung ist im Internet nicht zu finden – wissen wir nicht. Den Vornamen „Fredy“ wird er 1911 an seinen Sohn weitergeben.

Im September 1907 tritt Ferdinand Tratner in die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) ein, der er bis zu seinem Tod 1963 mehr als ein halbes Jahrhundert lang angehören wird. Für seine 50jährige Mitgliedschaft wird ihm 1957 das „Goldene Ehrenzeichen mit Eichenkranz“ verliehen.

Mit Mia in Saalfeld und Basel

In der Spielzeit 1909/10 ist Tratner am Stadttheater Saalfeld engagiert. Das Theater der schön gelegenen und damals reichen Stadt fasst 700 Zuschauer. Eine davon muss die knapp 20-jährige Marie Müller aus dem nahe gelegenen Unterwellenborn gewesen sein. Die Tochter eines Hüttenarbeiters hegt den Traum, ebenfalls Schauspielerin zu werden. Sie blickt zu dem fünf Jahre älteren Ferdinand auf, findet den Kontakt – die beiden verlieben sich. Vielleicht wandern sie gemeinsam zum Stollen eines fast vergessenen Bergwerkes, der gerade wiederentdeckt wurde und der in den folgenden Jahren für seine einzigartig-farbigen Tropfsteine unter dem Namen „Feengrotten“ berühmt werden soll. Den Sommer 1910 verbringt Ferdinand nicht weit von Mia entfernt an einem Sommertheater in Altenburg.

Mit der nächsten Spielzeit gehen die beiden in die Schweiz, nach Basel. Was sie dazu bewegt hat, ist unbekannt. Marie hat inzwischen den Künstlernamen „Mia Wilnson“ angenommen; er nennt sich „Fredy Lepés“. Am 8. Dezember 1910 heiratet das junge Paar; Mia ist zu diesem Zeitpunkt schon im fünften Monat schwanger. Das gemeinsame Kind Fredy kommt am 24. April 1911 zur Welt. Im Neuen Theater-Almanach für das Jahr sind Ferdinand und Mia unter der gemeinsamen Adresse Feldbergstr. 86 vermerkt; Ferdinand mit Engagement, Mia ohne. Und schon wieder packt die junge Familie die Koffer, ihr Ziel: Saalfeld, wo beide diesmal gemeinsam am Stadttheater ein Engagement finden!

Doch das gemeinsame Theaterglück währt nur diese eine Saison; Ferdinand geht 1912 nach Basel zurück und bleibt dort bis 1913. Mia zieht im selben Jahr nach Brandenburg, wo sie am Stadttheater nur in kleinen Rollen Einsatz findet. Hat sie Fredy dabei oder bleibt er bei den Großeltern? Vielleicht sind seine Eltern so weit voneinander entfernt einsam, vielleicht verlieren sie ihre Engagements – auf jeden Fall gehen sie gemeinsam zurück nach Saalfeld. Dort kommt im Juni 1914 Jahr das zweite Kind, Berta, zur Welt. Es stirbt nur fünf Monate später am 14.11.1914. Dazu stehen Mia und Ferdinand – der Erste Weltkrieg ist eben ausgebrochen – ohne Engagement da; es wird nicht der einzige Schicksalsschlag für die beiden bleiben.

Neue Heimat Berlin

Wenig später, im Jahr 1915, sucht die Familie in Berlin ihr Glück. Dort kommt am 8. Januar 1916 eine Tochter zur Welt, die Franziska – nach Tratners steiermärkischer Mutter – genannt wird. Die vierköpfige Familie wohnt zunächst am Prenzlauer Berg, später mitten in der Stadt in der Linienstraße.

Tochter Franziska (hinten mitte) 1922 im Hof der Linienstr. 116 in Berlin Mitte

Das Leben als Schauspieler ist in der Zeit des Ersten Weltkrieges besonders schwer. Für die Spielzeit 1916/17 ist Tratner in Berlin am Gustav-Behrens-Theater engagiert, das allerdings „während der Kriegszeit geschlossen“ bleibt. Unklar, womit er sein Geld verdient. In der darauf folgenden Spielzeit 1917/18 steht er bei der Märkischen Bildungsbühne unter Vertrag. Laut Bühnenjahrbuch tritt die Theatertruppe „… wöchentlich einmal in Rathenow, Stendal, Spandau, Salzwedel, Eberswalde, Luckenwalde und Wittenberg auf“. Das muss eine Viecherei gewesen sein, täglich im Umland unterwegs mit Bahn, Bus, Pferdefuhrwerk?

1921 nimmt Tratner eine Stelle als Spielleiter und Schauspieler in Apolda an, während Mia mit den Kindern in Berlin bleibt. In den folgenden Jahren trennen sich Mia und Ferdinand. Mia zieht mit den Kindern in ihre alte Heimat Thüringen, nach Rudolstadt. Dort hält sie ihre Familie fortan mit Schneiderarbeiten über Wasser. Der Kontakt zu ihrem Ex-Mann reißt mehr oder weniger ab.

Deutsches Theater

Im Jahr 1934 wird Tratner „sesshaft“. Er bekommt ein Engagement am Deutschen Theater in Berlin, eine gute halbe U-Bahn-Stunde von seiner Wohnung in der Gossowstr. 10 in Schöneberg entfernt. Intendant des DT in dieser Zeit ist Heinz Hilpert, der 1934 zum Nachfolger des wegen seiner jüdischen Herkunft ins Exil vertriebenen Max Reinhardt bestimmt worden ist. Anders als andere tritt Hilpert während des Nationalsozialismus für Verfolgte ein. Und er kann seinen Theatern (neben dem DT das Theater in der Wiener Josefstadt) eine gewisse künstlerische Freiheit bewahren, obwohl die Häuser direkt dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, unterstehen. Später wird Hilpert das Deutsche Theater Göttingen zu einem der führenden Theater der jungen Bundesrepublik machen.

Aus der Zeit am Deutschen Theater sind nur zwei Stücke bekannt, in denen Tratner als Darsteller namentlich aufgeführt ist: in der Spielzeit 1937/38 in der Rolle des Amtsdieners in „Hanneles Himmelfahrt“ von Gerhart Hauptmann und 1939/40 in den Kammerspielen als Fotograf in „Auf Entdeckungsfahrt“ von Jochen Huth. Das Ensemble besteht aus 94 Darstellern (57 Herren und 37 Damen), darunter Theater- und Filmstars, wie Paula Wessely, Attila Hörbiger und Elisabeth Flickenschildt. Tratner stand meist wohl nur als Komparse auf der Bühne.

Am 19. August 1943 fällt Sohn Fredy als Obergefreiter im Füsilier-Regiment 26 an der Ostfront in Staraja Russa. Auch Ferdinands Schwiegersohn Helmut Pasz, der Mann seiner Tochter Franziska und Vater von Enkelin Helga, „bleibt“ im selben Jahr im Krieg.

Im Sommer 1944 ist die Lage der deutschen Wehrmacht an der Ostfront aussichtslos. Die Heeresgruppe Mitte ist unter dem Druck einer sowjetischen Offensive zusammengebrochen. In der Normandy sind am „D-Day“ die Amerikaner und Briten gelandet. Berlin wird ununterbrochen bombardiert – auch Ferdinand Tratner wird „ausgebombt“; an der Stelle des Wohnhauses in der Gossostraße steht heute ein Neubau. Neuer Wohnsitz wird die Nollendorfstr. 24. Im August 1944 wird die Schließung aller deutschen Bühnen angeordnet. Auch das Deutsche Theater macht dicht; die Schauspieler sind arbeitslos. Wie haben sie sich in der Zeit wohl über Wasser gehalten?

Nach dem Krieg

Ferdinand Tratner um 1960

Nach dem Krieg wird Tratner am Landestheater Potsdam engagiert. Zuletzt ist er einem Nachruf des Deutschen Bühnenjahrbuches zufolge außer gastweise an Berliner Bühnen auch bei „Film und Funk“ tätig. Im Deutschen Rundfunkarchiv sind allerdings keine Hörfunk- oder Fernsehdokumente zu Tratner zu finden; auch in der ARD-Personendatenbank ist er nicht verzeichnet. So werden es vermutlich kleinere „Jobs“ gewesen sein, die der inzwischen gealterte Schauspieler zu erledigen hat.

Im Alter baut er auch wieder einen zaghaften Kontakt zu seiner Familie auf. Seine Tochter Franziska – Ex-Frau Mia ist schon 1946 gestorben – lebt inzwischen mit ihren beiden Töchtern Helga und Ulla in Leipzig und steht ihrem Vater distanziert gegenüber.

Zumindest Enkelin Helga lernt er noch kennen. Als junge Frau besucht sie Ihren Großvater in West-Berlin, bevor dies mit dem Mauerbau 1961 unmöglich wird. 1963 erkrankt Ferdinand Tratner im Alter von 77 Jahren schwer und stirbt kurz darauf.

Johannes Ackner, Stand 14.01.2020

Quellen

  • Neuer Theater-Almanach und Deutsches Bühnenjahrbuch (mit einem Dank an den Theaterwissenschaftler Dr. Christian F. Wolf für die Unterstützung bei den Recherchen)
  • Deutsches Rundfunkarchiv
  • Das Deutsche Theater. Eine Geschichte in Bildern, Propyläen 1999
  • Wikipedia