Brücken in Gegenwart und Zukunft
Journalist und Familienforscher Richard Ackner
– mit dem Forscher-Gen geboren*
Zum 90. Geburtstag und zugleich zum ersten Todestag des am 26. Mai 1930 in Schäßburg geborenen und am 12. April 2019 in Neubrandenburg gestorbenen Journalisten und Familienforschers Richard Ackner.
Müßig zu fragen, von wem Richard Ackner das Forscher-Gen geerbt hat: von Ur-Urgroßvater Johann Michael Ackner (1782–1862), Pfarrer in Hammersdorf und über die Grenzen Siebenbürgens hinaus bekannt als Archäologe und Geologe; oder von Urgroßvater Joseph Bacon (1857-1941), der als Arzt in Schäßburg erstmals in Siebenbürgen das Diphtherieserum anwandte; oder von Mutter Elisabeth geb. Leicht (1909–1999), die in ihrer zweiten Lebenshälfte als Schriftstellerin in Leipzig in der Deutschen Bücherei zu Hause war?
Jedenfalls zeigt Richard schon als Kind ein brennendes Interesse zum Beispiel für Geografie. Er kann die Stationen der transsibirischen Eisenbahn ebenso im Schlaf hersagen wie die Haltestellen zwischen Hermannstadt und Kleinkopisch. Wenn er krank ist, gleicht seine Bettstatt einer Bibliothek: Atlas, Lexika, Markenalbum. Und er sagt im Brustton der Überzeugung: „Mama, ich weiß vieles – aber ich möchte alles wissen!“ Schon früh hat Vater Hans, Pfarrer in Hermannstadt, für Richard einen Ahnenpass angelegt und er nimmt ihn mit auf die gemeinsamen Wanderungen durch Siebenbürgen. Dabei erfährt er, dass Familie mehr ist als Vater, Mutter und Geschwister; nämlich eine Gemeinschaft, deren Wurzeln tief in die Vergangenheit führen.
Als der Vater von 1943 bis 1944 als Pfarrer Dienst im „Generalgouvernement“ versieht, lebt Richard zeitweise in Schäßburg bei der Großmutter, wo er die Bergschule besucht. Die Großmutter schreibt an ihre Tochter: „Ich habe den Eindruck, dass er in der Schule gut vorwärtskommt und ich freue mich, dass er in gleicher Weise das Bedürfnis hat, seinen Geist zu bilden, wie er für seinen Magen bedacht ist.“
Die Kriegsereignisse bringen es mit sich, dass die Familie in Thüringen landet, wo Hans Ackner eine Pfarrstelle in Rieth bekommen hat. An einen regelmäßigen Schulbesuch ist zunächst nicht zu denken. Dazu wird Richard kurz nach seiner Konfirmation mit knapp 15 Jahren zum Volkssturm eingezogen. Seine Abteilung ist ein chaotischer Haufen; der Marsch führt ihn durch halb Deutschland bis nach Böhmen. Richard kann sich schließlich verdrücken und nach Hause durchschlagen. Nahe von Maxhütte wird er Zeuge, wie die SS sowjetische Kriegsgefangene misshandelt und erschießt – ein Erlebnis, das ihn fürs Leben prägen wird.
Wieder zu Hause hilft er dem Vater, ordnet das Kirchenarchiv und arbeitet in der Landwirtschaft. Mit dem Studieren hat es noch Zeit, doch seine landwirtschaftlichen Kenntnisse kann er in der Hermann-Lietz-Schule Haubinda, die Richard schließlich besuchen kann, gut einsetzen, da die Internatsschule auf Selbstversorgung basiert.
Den Beginn seiner Ahnenforschung datiert Richard auf den 24. Januar 1946 – er ist noch nicht 16 Jahre alt. Er ist auf den Spuren seiner Leicht-Vorfahren in Franken und bittet das römisch-katholische Pfarramt in Gaustatt bei Bamberg um Auskunft. Er wird später ein großes Familienfest mit allen fränkischen und siebenbürgischen Leicht-Nachkommen organisieren, die er ausfindig machen kann.
Die Sehnsucht der Familie nach der Heimat ist groß. Doch alle Verwandten und Freunde in Siebenbürgen raten von einer Rückkehr ab. Bereits in Haubinda beginnt Richard, sich auch für Politik zu interessieren. Er liest eine westdeutsche Tageszeitung und studiert marxistische Philosophie. Kaum 18-jährig wird er 1948 Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Das führt zu heftigen Konflikten mit der Familie, vor allem mit dem Vater. Zeitweise stehen sich Vater und Sohn im Ort als Pfarrer und SED-Parteisekretär feindlich gegenüber. Erst spät, kurz vor Hans Ackners Tod, kommt es zu einer Versöhnung.
Die Schule kann Richard in Gebesee fortsetzen, bricht aber kurz vor dem Abitur ab und arbeitet ein Jahr lang im Uran-Bergbau. 1953 beginnt er seine journalistische Laufbahn bei der Leipziger Volkszeitung. Darauf folgen der Besuch der SED-Parteischule in Leipzig und ein Fernstudium an der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ in Potsdam Anfang der 1970er Jahre. Zu diesem Zeitpunkt hat er bereits eine leitende Stelle bei der Tageszeitung Freie Erde in Neubrandenburg, wo er mit seiner zweiten Frau in glücklicher Ehe lebt. Aus erster Ehe hat Richard zwei Töchter, Gudrun und Ingeborg. Gudrun stirbt bereits im Kindesalter in Folge einer Toxoplasmose-Infektion. Ein weiterer Schicksalsschlag ereilt Richard, als zwei Jahre vor seinem Tod sein Sohn aus zweiter Ehe, Jürgen, im Alter von 52 Jahren stirbt.
Auch nach der Wiedervereinigung 1990 bleibt Richard bei „seiner“ Zeitung, die nun Nordkurier heißt. Er betreibt nun, von Reisebeschränkungen befreit, seine Familienforschung intensiv weiter, sucht in Archiven und Bibliotheken, korrespondiert mit Ämtern und fährt wiederholt nach Siebenbürgen. Er beteiligt sich an den Zusammenkünften der Gesellschaft für Siebenbürgische Landeskunde und am Aufbau der Bibliothek in Gundelsheim. Und er schreibt seine Forschungsergebnisse in zahlreichen Büchern nieder. Sich selbst fragt er, was einmal von ihm in Erinnerung bleiben würde, und meint, dass es die von ihm in Neubrandenburg ins Leben gerufene Tradition des Eisbadens sein könnte. Für unsere Familie und viele andere, die sich für Geschichte interessieren, hat allerdings sein Nachlass als Historiker und Ahnenforscher Priorität.
Nach Richards Tod im vergangenen Jahr hat es sich sein Neffe Johannes Ackner, ebenfalls Journalist, zur Aufgabe gemacht, diesen Nachlass aufzuarbeiten und digital zugänglich zu machen. Dazu hat er das Richard-Ackner-Archiv eingerichtet. Auf einer Plattform im Internet stehen unter richard-ackner-archiv.de bereits mehrere Bücher, darunter „Allerlei von Vorfahren in Siebenbürgen“ oder „Zehn Generationen Ackner“, zum kostenlosen Download bereit; weitere werden folgen. Dazu gibt es laufend Beiträge über herausragende Persönlichkeiten aus der näheren und weiteren Verwandtschaft Richard und Johannes Ackners, wie zuletzt über die Ufa-Schauspielerin Hilde von Stolz. Mit dem Archiv gibt Richard sein Forscher-Gen weiter und baut Menschen und ihren Geschichten aus der Vergangenheit eine zeitgemäße Brücke in Gegenwart und Zukunft.
Wilhelmine Gerber, geb. Ackner
*) Der Text erschien zuerst in der „Siebenbürgischen Zeitung„, Ausgabe 9, 2020