Martin Duvoisin – Gerichtsfall aus dem Jahr 1608

Martin Duvoisin verließ Anfang Oktober 1608 die Stadt Basel und reiste gegen Luzern, um dort Handel zu treiben. Vor den Stadttoren Basels traf er auf katholische Pilger. Es waren Franziskaner und weltliche Wallfahrer. Als sie miteinander ins Gespräch kamen, erfuhren sie, dass sie alle in Richtung Urschweiz zogen, und so entschlossen sie sich, gemeinsam nach Sursee zu ziehen.

Schon bald kam man auf die Religion zu sprechen. Dabei äußerte sich Duvoisin höchst ungebührlich gegenüber der Jungfrau Maria und lästerte mit groben Worten über das Wallfahren. Die Pilger waren äußerst empört über derartiges Reden. Doch im Bewusstem, dass sie sich noch auf protestantischem Boden befanden, griffen sie nicht ein und ließen den Lästerer gewähren.

Am dritten Oktober kam die Gruppe in Sursee an, wo sie im Gasthaus „Zur Sonnen“ eine Unterkunft für die Nacht fand. Am Abend setzten sich die Pilger und Duvoisin in die Gaststube, um sich bei einem Glas Wein zu stärken. Im Verlaufe der Gesprächsrunde fragten die Franziskaner den Basler erneut, was er von der Mutter Gottes und vom Wallfahren halte. Martin Duvoisin erwiderte, dass das Pilgern „nichts dan lauter Narrenwerck sey“ und, dass die Mutter Gottes eine Frau „wie eine anderen frou, sey auch eine Sünderin gsin und haben mit Mannen zuo thun gehabt, wie auch anderen Wyber“.

Ob solch „… grausamen, groben und schwären ausgegossenen Gotteslästerungen …“ wie die Worte Duvoisins von einem Zeugen genannt wurden, klagten die Franziskaner den Basler beim Schultheiß und Rat der Stadt Sursee wegen Gotteslästerung und Erzketzerei an.

Am nächsten Tag wurde Martin Duvoisin verhaftet. Ohne Zögern leitete der Rat die Untersuchung des Falles ein. Der Angeklagte wurde einer Befragung unterzogen, in der er erneut seine bisherige Meinung kundtat. Man glaubte, es handle sich um einen harmlosen, wenn auch etwas zähen Schwätzer. Der Schultheiß bot Duvoisin eine Geldstrafe an, wenn er widerrufe. Aber nach acht Tagen Gefängnis beharrte er immer noch auf seinen Worten. So wurde ihm der Prozess gemacht, zu dem die Stadt Sursee legitimiert war. Sie hatte im Jahr 1417 die Blutgerichtsbarkeit von König Sigismund erworben und sie im sogenannten „Bannbrief“ bestätigt erhalten. Das Gericht bestand aus sechs Mitgliedern des kleinen und drei des großen Rates. Eine eigentliche Prozeßführung wird nicht beschrieben.

Die Hartnäckigkeit Martin Duvoisins veranlasste die Surseer schon bald zur Urteils­verkündung: „…von Sursee uss Krafft ihrer Regalien und Fryheiten erstlich uss Gnaden zu dem Schwärt und darnach zu dem Füwr verurtheilt…“ So wurde am 13. Oktober 1608, elf Uhr morgen dem Krämer Duvoisin „nach Gewohnheit und Brauch der Stadt Sursee das Leben abgekündt“. Man gab ihm aber noch eine letzte Gelegenheit zu widerrufen und versprach ihm die Begnadigung, wenn er innerhalb einer Stunde von seiner Meinung zurücktrete. Duvoisin schlug dieses Angebot aus und hielt an seinen Äußerungen fest.

Daraufhin führte man den Verurteilten vom Rathaus durch ein schmales Gässlein auf die Richtstätte. Auf dem Richtplatz hatten sich der Schultheiß, die Herren des Gerichts, der Pfarrherr und einige Zuschauer eingefunden. Abermals riet der Pfarrer Duvoisin, seine groben Worte zurückzunehmen. Er tat es nicht. Es begann die Vollstreckung des Urteils. Zuerst schlug der Scharfrichter dem Gotteslästerer mit dem Schwert den Kopf ab. Danach warf man seinen Leib an eine Leiter gebunden ins Feuer. Die zurückgebliebene Asche des Ketzers wurde eingesammelt und in der Nähe der Richtstätte vergraben. Duvoisin wurde wie die meisten Hexen in Sursee hingerichtet.

Das Ganze hatte noch ein ziemliches Nachspiel, das hier kurz dargestellt sein soll: Der Kleine Rat von Basel hatte per Eilboten dem Schultheiß von Sursee eine Fürschrift zustellen lassen mit der Bitte, den Gefangenen „…auf freyen Fuoss (zu)stellen“. Erwähnt wurde darin, dass man im Jahre 1603 großzügig gegenüber einem Gotteslästerer aus der Gegend von Sursee gehandelt habe. Der Eilbote traf am Tag der Hinrichtung in Sursee ein. Noch vor der Vollstreckung des Urteils gelangte er zum Schultheiß. Doch der öffnete das Schreiben erst, als alles vorbei und damit zu spät war. Er habe den Boten mit groben Worten zurückgewiesen und den Eilbrief in die Hosentasche gesteckt, verkündeten es fünf Tage später drei Berner in einem Zeugenbericht. Damit und mit einem „Schmachgesang“ geriet der Rechtsfall in der ganzen Eidgenossenschaft ins Gerede und die Gerichtsbarkeit Sursees ins dunkle Licht.

Die Berner warfen Sursee weiter vor, man habe den Gefangenen schlecht behandelt und alle abgewehrt, die Duvoisin etwas fragen wollten Auch der Pfarrer habe sich als „blutgieriger Mensch“ erwiesen, denn er habe den Scharfrichter aufgefordert, Duvoisin das Hemd zu zerreißen, nachdem dieser nicht widerrufen wollte, und habe ihn zum Teufel geschickt. Man sei nicht einmal bereit gewesen, mit dem Totgeweihten ein „Vater unser“ zu beten. Und außerdem würde die Gerichtsbarkeit gar nicht bei den Surseern, sondern bei den Baslern liegen. In einem der Spottlieder jener Tage hieß es u.a. „Gott behüt uns vor Unglück und bluotgierigem Sursee!“

Der Basler Rat sandte eine Klageschrift an die Luzerner Regierung, die sich veranlasst sah, etwas zu unternehmen. So lud sie den Surseer Schultheißen vor den Luzerner Rat und gelangte allerdings in der Befragung zum Schluss, dass das Vorgehen der Surseer rechtmäßig gewesen sei. Die Hoffnung der Luzerner, man würde die Ereignisse in Sursee endlich vergessen, ging jedoch nicht auf. So äußerte die Stadt Bern ihre Unzufriedenheit mit den Geschehnissen und besonders auch die Behandlung ihrer Bürger, deren Berichte als Lügengedicht bezeichnet worden seien. Auch die Regierung von Zürich gab in einem Schreiben ihrer Missbilligung über die Geschehnisse in Sursee Ausdruck.

Am 31. März 1609 erschien als „Wohlbegründeter christlicher Widerleg“, gedruckt in deutscher und lateinischer Sprache, eine von den Jesuiten in Ingolstadt im Auftrag des Rates von Luzern verfasste Schrift, worin in neun Punkten alle Vorwürfe zurückgewiesen wurden. Und alle Handlungen Sursees seien ganz unter der „gerechten Hand Gottes“ getätigt worden. Auch ein Gedicht wurde verfasst:

„Sursee enthaupt/verbrennt gar recht/
Ein Lotter/der Mariam schmächt.
Wers widerficht/ der ist auch werth/
Daß man ihn straff/mit Fewr vnd Schwert.“

Mit dem „Widerleg“ der Luzerner wurde der Fall Duvoisin abgeschlossen. Viele Fragen sind bis heute offen geblieben, schreibt die Autorin, und können wohl nie beantwortet werden. Die Hinrichtung des Duvoisin habe zwar einigen Aufruhr gestiftet, doch es blieb bei einer momentanen Empörtheit der Eidgenossen über diesen Fall. Er war einer unter vielen und man vergaß ihn bald. Und abschließend bezeichnet sie ihn als einen „Rechtsfall, der auf die spannungsgeladene Zeit des 17. Jahrhunderts hinweist, in der die Auseinandersetzungen zwischen katholischen und reformierten Eidgenossen … noch nicht überwunden waren.“

Claudia Brun, 1985